Glossar



Das folgende Glossar ist Teil unserer gemeinsamen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Facetten des Öffentlichkeitsthemas. Es handelt sich dabei weder um starre Definitionen noch um vollständige Begriffsumreissungen. Stattdessen versammelt es Arbeitsbegriffe und bezeichnet Suchbewegungen, entlang derer wir gemeinsam gedacht, diskutiert und gestritten haben. Immer haben sie eine unsere Forschungsarbeiten verbindende und kontrastierende Qualität, immer eröffnen sie eine weitere Dimension der studentischen Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit(en).



Ästhetik (Wahrnehmungslehre)



In unseren Arbeiten fragen wir uns immer wieder: Wie hängt das Ästhetische mit dem Politischen zusammen? Begreifen wir Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, dann kann man mit dem politischen Philosophen Jacques Rancière die Sphäre des Sinnlichen immer schon als politisch begreifen. Für Rancière besteht die Ästhetik der Politik in der Sichtbarkeit bzw. der Unsichtbarkeit von Personen und Praktiken. Ästhetische Praktiken haben demzufolge die Aufgabe, diese Sichtbarkeiten neu zu verhandeln. Dabei begeben sie sich in einen Widerspruch: Sie proklamieren einerseits ihre Autonomie, verfolgen dabei aber situierte und heteronome Ziele. Dieser Widerspruch ist für Autoren wie Jacques Rancière oder Oliver Marchart konstitutiv für die Ästhetik. Übertragen wir diese Überlegungen auf das Feld der Kunst, dann lässt sich die Autonomie der Kunst aufgrund ihrer vielfältigen Verflechtungen mit politischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Wirklichkeiten hinterfragen und ist dennoch für das Verständnis künstlerischer Praktiken unabdingbar (Prinz 2022, 62).  
Aus der kulturwissenschaftlichen Perspektive arbeiten wir eher mit der Vorstellung der Eigenlogik der Künste und mit der Eigenlogik des Ästhetischen. Künstlerische Praktiken bauen einerseits auf eingeübten Wahrnehmungsmustern auf, sind aber gleichzeitig auch in der Lage, diese herauszufordern und somit die Grenzen der eigenen Wahrnehmung aufzuzeigen (Prinz 2022, 61-62). Sie werden dadurch politisch wirksam, dass sie durch die Auseinandersetzung mit diesen Wahrnehmungsgrenzen zu einer Reflexion dieser anregen (s. Verlernen)

Literatur:  

Mouffe, Chantal (2008): «Art and democracy: Art as an agonistic intervention in public space». In: Open 14, 6-15.

Marchart, Oliver (2012): Für eine neue Heteronomieästhetik. Überlegungen zu Kunst, Politik und Stadtraum im Anschluss an Jacques Rancière, Dan Graham, Alfredo Jaar und Colectivo Situaciones. In: Dietmar Kammerer (Hg.): Vom Publicum. Das Öffentliche in der Kunst. Bielefeld, 161-179.

Prinz, Sophia (2022): Relative Autonomie-Zur sozialen Funktion ästhetischer Formen. In: Eusterschulte, Birgit/Christian Krüger (Hg.): Involvierte Autonomie. Bielefeld, 61-82.

Werner, Elke Anna (2019): Evidenzen des Expositorischen. Zur Einführung. In: Klaus Krüger u. a. (Hg.): Evidenzen des Expositorischen. Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird. Bielefeld, 9-42.


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Mediale Kriegsnarrative Landschaftsästhetik



Affektive Öffentlichkeiten



Hass und Shitstorms, Liebe und gefeierte Stars, Wut, die sich in Strassenprotesten entlädt, öffentliche und gemeinsame Trauerzüge: All dies sind affektive Äusserungen, die Öffentlichkeiten nicht nur prägen, sondern diese auch bilden können. ‹Affective Publics› ist ein Öffentlichkeitskonzept, das auf die Wichtigkeit von Affekten für das Entstehen von Öffentlichkeiten verweist. Im Kontext der Affect Studies meint ‹Affekt› nicht einfach nur eine individuelle Emotion, die eine Person körperlich fühlt, sondern Affekte haben vor allem eine kulturelle und historische Dimension. Affekte zeigen, dass individuelles Erleben untrennbar mit gesellschaftlichen Strukturen verwoben ist. 
‹Affektive Öffentlichkeiten› fokussiert stark auf gesellschaftliche Beziehungen und begreift Öffentlichkeiten als durch und durch relationale Gebilde, deren Formierung zum Teil sehr unterschiedliche gesellschaftspolitische Hintergründe haben kann. Allen ist gemein, dass sie von einem gemeinsamen affektiven Erleben der Welt angetrieben werden. Es geht nicht um eine Unterscheidung von mehr oder weniger affektiven Öffentlichkeiten, sondern darum, dass Affekte ein grundlegender Bestandteil aller sozialen Interaktionen sind. Bei der Untersuchung der Formierung unterschiedlicher Öffentlichkeiten müssen unbedingt immer auch die affektiven Dimensionen mitgedacht werden. 

Literatur:  

Baier, Angelika u. a. (Hg.) (2014): Affekt und Geschlecht: eine einführende Anthologie. 1. Aufl., Wien.

Bens, Jonas u. a. (Hg.) (2019): The Politics of Affective Societies: An Interdisciplinary Essay. Bielefeld.

Lünenborg, Margareth (2019): Affective Publics. In: Slaby, Jan/Christian von Scheve (Hg.): Affective Societies: Key Concepts. London, 319-329.

Lünenborg, Margreth/Birgitt Röttger-Rössler (2023): Prologue. Affective Publics and Their Meaning in Times of Global Crises. In: Dies. (Hg.): Affective Formation of Publics: Places, Networks, and Media. 1. Aufl., London.

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Agonismus




Agonistische Konzepte von Demokratie betonen, dass Gesellschaften pluralistisch sind und notwendigerweise von Differenzen durchzogen sind. Differenz ist diesem Verständnis zufolge eine Grundqualität von Gesellschaft und nichts, das durch staatliche oder andere Politiken kontrolliert oder ‹gemanaged› werden muss. Agonistische Konzepte begreifen Streit zwischen unterschiedlichen Positionen als Grundprinzip demokratischer Aushandlungsprozesse. Agonistisch meint dabei das Aushalten von Differenz und die Fähigkeit zu streiten, im Gegensatz zu antagonistischen Konzepten, die stärker von Feindschaft und Kampf ausgehen.  
Die politische Theoretikerin Chantal Mouffe kritisiert mit ihrem agonistischen Verständnis von Demokratie die Dominanz des Konsenses in der liberalen Demokratie. Sie positioniert die Demokratie im öffentlichen Raum der Agora (dem antiken griechischen Marktplatz), auf welchem sich ebenbürtige Gegner:innen und keineswegs Feinde entgegentreten sollen. Mit der öffentlichen Sphäre sind bei Mouffe die Orte gemeint, in denen politisch gestritten wird. Deshalb sprechen wir von agonistischen und nicht antagonistischen Öffentlichkeiten. Dabei liegt der Fokus weder auf Konsens noch auf Feindschaft, sondern vielmehr auf dem Moment der Austragung und dem Aushalten von differenten Positionen.  

Literatur:  

Foucault, Michel (1987): Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, Hubert L./Paul Rabinow (Hg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frankfurt a. M., 243-261, hier 256.

Mouffe, Chantal (2002): Which Public Sphere for a Democratic Society? In: Theoria: A Journal of Social and Political Theory 99, 55-65. URL: https://www.jstor.org/stable/41802189. Aufgerufen am 14.09.2024.

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Counterspaces/Safer Spaces




Das Konzept ‹Counterspaces› stammt ursprünglich aus der Critical Race Theory und wurde später auch auf feministische Geographien übertragen (Ong u.a. 2018; Nicolosi 2020). Es beschreibt Räume, welche Rückhalt und ein Gefühl der Zugehörigkeit bieten. Dadurch soll ein sicherer Ort geschaffen werden, um in der Öffentlichkeit zu sein (Ong u.a. 2018, 206-207; Staehli u.a. 209, 645).  
In unseren Forschungsarbeiten korreliert der Begriff mit ‹Safe Space›. Dieses Konzept beschreibt exklusive Sphären, welche von marginalisierten Gruppen gebildet werden, um eine sichere Umgebung für die Diskussion und Entwicklung von politischen Strategien zu ermöglichen (Staehli u.a. 2009, 645). Da auch Safe Spaces von Konflikten durchzogen sind, ist es passender, von ‹Safer Spaces› zu reden.  

Literatur:  

Staeheli, Lynn u. a. (2009): Making publics: immigrants, regimes of publicity and entry to ‹the public›. In: Environment and Planning. In: Society and Space 27/4, 633-648.

Ong, Maria u. a. (2018): Counterspaces for Women of Color in STEM Higher Education: Marginal and Central Spaces for Persistence and Success. In: Journal of Research in Science Teaching 55/2, 206-245.  

Nicolosi, Emily (2020): Counterspaces against the odds? The production and emancipatory potential of alternative spaces. In: Geoforum 108, 59-69.

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Feministische Öffentlichkeiten



Nancy Fraser konzeptualisiert feministische Öffentlichkeiten als subalterne Gegenöffentlichkeiten. Diese bilden Kommunikationsforen, Diskurse und Räume aus, in denen herrschende Geschlechterverhältnisse thematisiert, analysiert und gleichzeitig anders gelebt werden. Feministische Öffentlichkeiten können Orte sein, innerhalb derer soziale Ungleichheit sichtbar gemacht wird und Rechte eingefordert werden. ‹Feministisch› bezieht sich dabei nicht nur auf Frauen bzw. auf die Differenzkategorie Geschlecht; es geht vielmehr um eine breite Perspektive auf verflochtene Ungleichheitsverhältnisse in ihren ökonomischen, nationalisierenden und ethnisierenden Dimensionen. Feministische Öffentlichkeiten können so die Basis für Selbstverständigung sozialer Bewegungen bilden und die Ausbildung kollektiver Handlungsfähigkeit unterstützen. Gleichzeitig sind sie Voraussetzung für emanzipatorische Veränderungen und gesellschaftliche Einflussnahme. 

Literatur:  

Fraser, Nancy (2001): Die halbierte Gerechtigkeit. Schlüsselbegriffe des postindustriellen Sozialstaates, Frankfurt a. M. u. a.

Geiger, Brigitte (2003): Feministische Öffentlichkeiten. Ansätze, Strukturen und aktuelle Herausforderungen. In: Dorer, Johanna/ Brigitte Geiger (Hg.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der Aktuellen Entwicklung. Wiesbaden, 80-97.


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Feministische Klangpolitk Awareness-Boom
Feministische Zukünfte



Gegenöffentlichkeiten



‹Gegenöffentlichkeit› ist eine Denkfigur, die als eine Gegenbewegung zur sogenannten ‹herrschenden› Öffentlichkeit zu verstehen ist. In ihr wird die Kritik am Habermas’schen Öffentlichkeitsbegriff sichtbar, die insbesondere für eine Überwindung nationalstaatlicher und eurozentrischer Perspektiven plädiert. 
Gegenöffentlichkeit beschreibt dabei nicht selten einen Modus der Intervention in etablierte und unhinterfragte Weltsichten und Wertanschauungen, den Status Quo von Teilhabe oder die ungleiche Verteilung von politischer Repräsentanz. Der Begriff deutet auch auf den Umstand hin, dass wir es nicht mehr mit nur einer Öffentlichkeit zu tun haben, sondern mit pluralen, transnationalen und fragmentierten Öffentlichkeiten. Gegenöffentlichkeiten sind nach unserem Verständnis nicht bestimmten politischen Lagern zugeordnet, sondern sie bilden sich manchmal in überraschenden Allianzen. 

Literatur:  

Appadurai, Arjun (1990): Disjuncture and Difference in the Global Cultural Economy. In: Public Culture 2/2. 1-24.

Burkart, Günter u. a. (Hg.) (2022): Privat – öffentlich – politisch: Gesellschaftstheorien in feministischer Perspektive. Wiesbaden.

Fraser, Nancy (1990): Rethinking the Public Sphere: A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy. In: Social Text 25/26, 56-80.

Fraser, Nancy (2007): Transnationalizing the Public Sphere. On the Legitimacy and Efficacy of Public Opinion in a Post-Westphalian World. In: Theory, Culture & Society 24/4, 7-30.

Fraser, Nancy u. a. (2014): Transnationalizing the Public Sphere. Cambridge (UK)/Malden (MA).

Habermas, Jürgen (1990 [1962]): Einleitung. Propädeutische Abgrenzung eines Typus bürgerlicher Öffentlichkeit. In: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M., 54-85.

Negt, Oskar/Alexander Kluge (1990 [1976]): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt a. M.

Reinelt, Janelle (2011): Rethinking the Public Sphere for a Global Age. Performance Research 16/2, 16-27.

Staeheli, Lynn u. a. (2009): Making publics: immigrants, regimes of publicity and entry to ‹the public›. In: Environment and Planning: Society and Space 27/4, 633-648.

Warner, Michael (2005): Publics and Counterpublics. New York.




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Hegemonie




Hegemonie als kulturwissenschaftliches Konzept lässt sich auf den marxistischen Denker Antonio Gramsci (1891-1937) zurückführen. Der Begriff wurde von den Cultural Studies in Birmingham zentral weiterentwickelt. Hegemonie kann als eine ‹Führungsposition› einer dominanten Ideologie im Alltag einer Gesellschaft verstanden werden, die immer wieder kulturell erkämpft werden muss – und folglich als Prozess zu verstehen ist. Das kann zum Beispiel popkulturell geschehen, wenn in einem Film eine bestimmte Form von Gesellschaft inszeniert wird. Hegemonie wirkt dabei nicht als Zwang wie zum Beispiel ein Gesetz, das vom Staat durchgesetzt wird; ihre Herstellung erfolgt vielmehr unbewusst und zeigt sich in der Normalisierung von Begriffen, Bildern und Narrativen. Im Jargon des Neoliberalismus wären das Ausdrücke wie ‹Flexibilisierung›, ‹Selbstoptimierung› oder ‹an sich selbst arbeiten›.


Literatur:  

Hall, Stuart u. a. (Hg.) (2014): Populismus, Hegemonie, Globalisierung: Ausgewählte Schriften 5. Hamburg.

Marchart, Oliver (2018): Cultural Studies, 2. Aktual. Aufl. München, 76-82.

Pohn-Lauggas, Ingo (2017): Integraler Staat und radikale Demokratie. Hegemonie und Staatsmacht bei Gramsci und Laclau/Mouffe. In: Radikale Demokratie. Baden-Baden, 19-38.


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Institutionskritik




Eine erste Welle der Institutionskritik fand in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren statt, als Künstler:innen begannen, in und durch ihre Werke, Aktionen und Happenings Kunstinstitutionen zu kritisieren und zu hinterfragen. In der zweiten Welle ab den 1980er-Jahren wurden auch künstlerische Praxis und weitere künstlerisch-institutionelle Räume in die Kritik miteinbezogen. Kunstinstitutionen selbst wurden bezüglich ihrer repräsentativen Funktion und ihren verhindernden Strukturen kritisiert. Als eine dritte Welle können wir die Entwicklung begreifen, dass Kunst- und Kulturinstitutionen im Modus der Selbstreflexion die Institutionskritik inkorporiert haben. Der kritische Theoretiker und Medienphilosoph Simon Sheikh beschreibt, dass die Kritik vom Aussen der Institution in ihr Inneres gewandert ist. Ihm zufolge bedeutet Institutionskritik zu historisieren nicht, diese als eine historische Periode oder als ein Genre innerhalb der Kunstgeschichte zu begreifen. Vielmehr sollte sie als kritisches Analysewerkzeug verstanden werden, das dazu benutzt werden kann, um eben auch über die Einverleibung von Kritik in die Institution selbst nachzudenken. So kann Institutionskritik als kritische Methode in Bezug auf Strukturen und Funktionsweisen von kulturellen Institutionen betrachtet werden und so auch auf andere institutionelle Kontexte angewendet werden. Sie setzt sich mit den spezifischen Machtverhältnissen auseinander, mit der Etablierung und Aufrechterhaltung von Hierarchien, problematischen Normen und Praktiken. Ihre Absicht ist es, auf Missstände und Ungleichheiten im institutionellen Kunst- und Kulturbetrieb aufmerksam zu machen, aber auch die eigene künstlerische Praxis zu hinterfragen. 


Literatur:  

Brüggmann, Franziska (2020): Institutionskritik im Feld der Kunst. Entwicklung, Wirkung, Veränderungen. Diss. Zeppelin Universität Friedrichshafen. Bielefeld. Aufgerufen am 23.09.2024.

Gau, Sønke (2017): Institutionskritik als Methode. Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld. Wien.

Nowotny, Stefan/Gerald Raunig (Hg.) (2008): Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik. Wien.

Sheikh, Simon (2006): Notizen zur Institutionskritik. In: transversal/EIPCP Multilingual Webjournal–Do You Remember Institutional Critique.


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Macht




In unseren Forschungen interessieren wir uns für Macht besonders in Verbindung mit Repräsentation und Wissensproduktion. Wer die Verbindungen zwischen Repräsentation, Macht und Wissen begreifen möchte, muss sich mit dem Einfluss des poststrukturalistischen Denkers Michel Foucault (1926–1984) beschäftigen. Foucault versteht Macht nicht als direkte Unterdrückung oder Herrschaft, sondern als ein Wirken durch gewohnte und institutionalisierte Diskurse, die begrenzte Formen des Handelns, Wissens und Seins eröffnen. In diesem Verständnis wirkt Macht nicht repressiv, sondern produktiv: Sie bringt Menschen als Subjekte hervor und reguliert darüber gleichzeitig ihr Verhalten. In seinem späteren Werk beschäftigte sich Foucault intensiv mit der Frage, wie Wissen durch diskursive Praktiken in einem bestimmten institutionellen Umfeld eingesetzt wird, um unser eigenes Verhalten und das anderer zu regulieren. Er konzentrierte sich auf die Beziehung zwischen Wissen und Macht und auf die Art und Weise, wie Macht innerhalb des – wie er es nannte – institutionellen Apparats und seiner Wissenstechnologien funktioniert. 

Diese Betonung des Verhältnisses zwischen Wissen und Macht markiert eine bedeutende Entwicklung in der Frage nach wissenschaftlicher Repräsentation. Sie befreit die Repräsentation aus den Fängen einer rein formalen und positivistischen Theorie und gibt ihr einen historischen, praktischen und gesellschaftspolitischen Wirkungszusammenhang. Es geht nicht darum, zu fragen: Was ist die Wahrheit, sondern eher: Wie wird die Wahrheit gemacht? 

In der Betonung der Prozesshaftigkeit von Machtstrukturen gerät gleichzeitig ihre Wandelbarkeit in den Blick. Macht manifestiert sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in verschiedenen Formen. Sie lässt sich in sozialen Beziehungen, Diskursen und in Symbolen finden, die unsere Wahrnehmung und unser Handeln prägen. Folgen wir Foucaults Idee von Macht, dann sind alle politischen und sozialen Denkformen zwangsläufig in das Zusammenspiel von Repräsentation, Wissen und Macht verstrickt. Macht als einen dynamischen Bestandteil der alltäglichen Normalität und als eine gesellschaftsmachende Kraft zu verstehen, bedeutet auch, dass diejenigen eine besondere Verantwortung tragen, die sich mit Wissen und Repräsentation auseinandersetzen. 
   

Literatur:  

Chakkalakal, Silvy (2021): Figuration als Poiesis. Macht, Differenz und Ungleichheit in der figurationalen Kulturanalyse. In: Peter Hinrichs u. a. (Hg.): Theoretische Reflexionen. Berlin, 135-152.

Dahlmann, Claus (2008): Die Geschichte des modernen Subjekts: Michel Foucault und Norbert Elias im Vergleich. Münster.

Foucault, Michel/Mark Blasius (1993): About the Beginning of the Hermeneutics of the Self: Two Lectures at Dartmouth. In: Political Theory 21/2, 198-227.

Foucault, Michel/Ducio Trombadori (1996 [1980]): Der Mensch ist ein Erfahrungstier: Gespräch mit Ducio Trombadori. Frankfurt a. M.

Hartmann, Jutta. (2002): Vielfältige Lebensweisen: Dynamisierungen in der Triade Geschlecht, Sexualität, Lebensform. 1. Aufl., Wiesbaden. Aufgerufen am 14.09.2024.

Queere PädagogikKunst im Spannungsfeld
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Öffentlicher Raum

 



Der Begriff ‹öffentlicher Raum› wird oft mit städtischen Räumen in Verbindung gesetzt. Man denkt an Plätze, Bahnhöfe oder Ladenstrassen. Dabei werden Öffentlichkeiten und Raum miteinander verbunden, so dass ‹öffentlicher Raum› durch kollektive Praktiken und normierende Verhaltensmuster geprägt zu sein scheint.

Wir verfolgen kein enges Verständnis von ‹öffentlichem Raum› als nur urban oder städtisch verwaltet oder in der starren Opposition zu ‹privat›. Stattdessen gehen wir von einem prozesshaften und situationalen Konzept aus. Das bedeutet, dass die so bezeichneten Räume dadurch gekennzeichnet sind, dass sie Orte der permanenten Auseinandersetzung und Verhandlung unterschiedlicher Interessen und Weltvorstellungen sind. Obwohl sie von Geschichte durchtränkt und geworden sind, zeichnen sie sich nicht durch Stabilität aus, sondern eher durch konstante Bewegung, Spontaneität und Flüchtigkeit. Der ‹öffentliche Raum› ist von der ‹öffentlichen Sphäre› insofern abzugrenzen, als dass auch spezifische Infrastrukturen, Architekturen und weitere räumliche Materialitäten mitbestimmen, wie Öffentlichkeiten sich figurieren.


Literatur:  

Massey, Doreen B (2007 [2005]): For Space. London.
- «Opening Propositions», 9-17.
- «Space/Representation», 20-35.

Reicher, Christa u. a. (Hg.) (2009): Der öffentliche Raum. Berlin.

Wildner, Kathrin/Hilke Marit Berger (2018): Das Prinzip des öffentlichen Raums. Aufgerufen am 23.09.2024


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Das Öffentliche/die öffentliche Sphäre



Das Öffentliche beziehungsweise die öffentliche Sphäre wird von unterschiedlichen politisch-theoretischen Denker:innen als Verhandlungs- und Austragungsort und als Ort des Ausdrucks für alle Belange, die das gesellschaftliche Zusammenleben angehen, entworfen. 

Dem Philosophen Jürgen Habermas zufolge ist das Öffentliche die Sphäre der Kommunikation und der Diskussion, innerhalb derer Meinungen und Interessen ausgetauscht werden. Habermas entwirft diesen Öffentlichkeitsbegriff im Zuge seiner Untersuchung zur Herausbildung der bürgerlichen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. Das Ziel von Öffentlichkeit im Habermas‘schen Sinne ist es, durch Diskussionen eine «öffentliche Meinung» zu bilden, einen Konsens, der dann die Grundlage bildet für die politische Willensbildung und für politische Entscheidungen. Habermas entwirft Öffentlichkeit damit in normativer Weise als einen herrschaftsfreien und egalitären Streitraum. Kritik an diesem Begriff wird von unterschiedlicher Seite geäussert. Dabei stehen unterschiedliche Facetten des Habermas‘schen Öffentlichkeitsmodells zur Debatte. Punkte der Kritik, des Weiterdenkens oder der Ablehnung betreffen beispielsweise: 

  • Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit (Mitdenken von Migrationsgesellschaft, Überschreiten des Nationalen)
  • Die Fragmentierung und Pluralisierung von Öffentlichkeit (unterschiedliche plurale Austragungsorte anstatt der einen Sphäre; unterschiedliche Zugänglichkeiten)
  • Die Polarisierung von Öffentlichkeit (nicht rational und auf Konsens basierend, sondern affektiv aufgeladen und durch und durch konfliktreich konstituiert)

Literatur:  


Fraser, Nancy (2007): «Transnationalizing the Public Sphere. On the Legitimacy and Efficacy of Public Opinion in a Post-Westphalian World.» In: Theory, Culture & Society 24/4, 7-30.

Fraser, Nancy (1992): Rethinking the Public Sphere. A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy. In: Craig Calhoun (Hg.): Habermas and the Public Sphere. Cambridge, 109-142.

Habermas, Jürgen (2022): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Berlin.

Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M.

Rau, Jan Philipp/Sebastian Stier (2019): «Die Echokammer-Hypothese: Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?» In: Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft 13, 399-417.


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Das Politische – Politik/Politiken



In unseren Arbeiten taucht immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen dem Begriff ‹des Politischen› und den Begriffen ‹Politik› bzw. ‹Politiken› auf. Diese sind voneinander zu unterscheiden. Mit ‹dem Politischen› wird zunächst das gesellschaftliche Feld beschrieben, auf dem die Entscheidungen, die das gesellschaftliche Zusammenleben betreffen, ausgehandelt werden. Es ist der Bereich, in dem Zusammenleben organisiert und Machtverhältnisse ausgehandelt werden.
Unter ‹Politik› und ‹Politiken› verstehen wir hingegen konkrete politische Praktiken und Prozesse. Politik bezeichnet die institutionalisierte und praktische Ebene, auf der Entscheidungen getroffen und Konflikte im Rahmen von bestehenden Strukturen und Regeln gelöst werden. Im Unterschied zum Politischen, das auf die grundlegenden Konflikte und Machtverhältnisse verweist, die dem politischen Handeln zugrunde liegen.
Das Spannungsverhältnis zwischen ‹dem Politischen› und ‹Politik/Politiken› ist in der politischen Theorie, der Empirischen Kulturwissenschaft, der Anthropologie des Politischen oder der Anthropology of Policy unterschiedlich entworfen worden. Die politische Theoretikerin Chantal Mouffe zum Beispiel begreift das Politische als unauflösbaren Raum von Freund-Feind-Differenzen oder antagonistischen Auseinandersetzungen. Auch in Abgrenzung zum Begriff des Öffentlichen bzw. der öffentlichen Sphäre wird klar, dass um den Begriff des Politischen in den oben genannten Feldern gerungen wird.

Literatur:  

Adam, Jens/Asta Vonderau (2014): Formationen des Politischen. Anthropologie politischer Felder. Bielefeld.

Marchart, Oliver (2011 [2010]): Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. 2. Aufl. Frankfurt a. M.

Shore, Cris/Susan Wright: Introduction. Conceptualising Policy: Technologies of Governance and the Politics of Visibility (2011). In: Dies. u. Davide Però (Hg.): Policy Worlds. Anthropology and the Analysis of Contemporary Power. New York, 1-25.

Wright, Susan/Chris Shore: Policy (1997): A new field of anthropology. In: Dies. (Hg.): Anthropology of policy: Critical perspectives on governance and power. London, 3-39.


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(Un)Sichtbarkeit



Sichtbarkeit war in den letzten Jahrzehnten ein wichtiges Thema sozialer Bewegungen und deren Forderung nach politischer Repräsentanz in der öffentlichen Sphäre. Dennoch sind Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit nicht bloss einfache Gegensätze, sondern stehen in einem dynamischen Wechselspiel zueinander und werden innerhalb hegemonialer Strukturen von Wissen und Macht hervorgebracht. Sichtbarkeit entsteht also immer in einem Kontext gesellschaftlicher Normen und kann nicht isoliert von Machtverhältnissen betrachtet werden. Mehr Sichtbarkeit führt nicht automatisch zu mehr politischer Macht und gesellschaftlicher Anerkennung, kann aber durchaus öffentlicher Ausdruck davon sein. Aus der Perspektive emanzipatorischer politischer Praxis kann es insofern nicht das Ziel sein, Sichtbarkeit schlichtweg quantitativ zu erhöhen, sondern qualitativ-transformative Repräsentationen zu schaffen. Dies auch aus dem Grund, dass ‹mehr Sichtbarkeit› gerade marginalisierter Personen oder Positionen zunächst bedeutet, sich den hegemonialen Repräsentationsmustern zu unterwerfen, um diese zu erlangen. Diese Praxis der Sichtbarmachung führt jedoch häufig dazu, dass die Minorisierung affirmiert wird, indem kulturalisierte Qualitäten oder äussere Erscheinungsmerkmale zur problematischen Differenz erklärt und damit bestehende diskriminierende Bedingungen aufrechterhalten und naturalisiert werden. Die Rahmenbedingungen der Sichtbarkeit sollten daher eine ermächtigende Ausrichtung haben.

Literatur:  

Hall, Stuart (1997): The spectacle of the ‹other›. Representation: Cultural representations and signifying practices 7.

Schade, Sigrid/Silke Wenk (2011): Repräsentationskritik und Politiken der Sichtbarmachung. In: Dies. (Hg.): Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld, 104-120.

Sturken, Marita/Lisa Cartwright (2001): Spectatorship, Power, and Knowledge. In: Dies. (Hg.): Practices of Looking: An Intro-duction to Visual Culture. Oxford u. a., 72-109.

Schaffer, Johanna (2008): Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. Bielefeld.


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Verlernen




Das Konzept des ‹Verlernens› geht auf die Literaturwissenschaftlerin und postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak zurück und ist vielfach von Kulturwissenschaftler:innen aufgegriffen worden. Zunächst geht es darum zu begreifen, dass Menschen durch Macht subjektiviert werden (zum Subjekt werden). Bildung ist durchdrungen von Macht und Herrschaft und hat somit subjektivierende Effekte: Lernen bedeutet, gewisse kulturelle Ordnungen und soziale Zuschreibungen zu verinnerlichen und diese durch die diskursive und körperliche Anwendung dieses Wissens zu produzieren. Zum Beispiel: Was ist und wie bewegt sich ein:e Frau/Mann/Migrant:in/Student:in/Arbeiter:in etc. oder was ist Natur/Stadt? Wie verhalte ich mich im Wald oder auf dem Bahnhofsgleis oder auf dem Konzert?
Verlernen nun bezeichnet den Prozess, Bildungspraktiken in dieser Qualität reflektierbar zu machen. Verlernen bedingt die Einsicht, dass Lernen immer ein Produkt machtvoller Verhältnisse ist. 
Weitere Facetten der Methodik des Verlernens sind dekonstruktivistische Analysestrategien des ‹defamiliarizings›, ‹decenterings› und des ‹epistemischen Ungehorsams›, wie sie sowohl in postkolonialen als auch feministische Theorien zur Anwendung kommen. Immer geht es darum, Gewohntes und Alltägliches in seiner Unhinterfragbarkeit und Normalität radikal zu hinterfragen

Literatur:  

do Mar Castro Varela, María (2017): (Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess. In: Migrazine 1.  https://www.migrazine.at/artikel/un-wissen-verlernen-als-komplexer-lernprozess Aufgerufen am 14.09.2024.

Sternfeld, Nora (2014): Verlernen vermitteln. In: Andrea Sabisch u. a. (Hg.): Kunstpädagogische Positionen 30. Hamburg.

Spivak, Gayatri Chakravorty (1996): The Spivak Reader. Hg. v. Landry, Donna u. Gerald Maclean. New York/London.


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