Podcast 1. Teil «Musik und Gender: Harmonie oder Dissonanz?»



Podcast 3. Teil «Awareness-Boom»



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Julia Merz Reflexion zum Podcast: 
Awareness-Boom. Zur Prävention von sexualisierter Gewalt an Musikfestivals 


Abstract
Der Podcast, der im Rahmen des Masterstudienprojektes mit meiner Kommilitonin Ajla Paratusic entstand, besteht aus drei Teilen. Der erste Teil, «Musik und Gender: Harmonie oder Dissonanz?», stellt den Nexus von Öffentlichkeit, Musik und Gender vor. Heutige Ansätze zur Kulturförderung sind diversifizierter, jedoch bestehen weiterhin strukturelle Ungleichheiten, besonders für FINTA-Personen, die oft geringere Fördermittel beantragen und erhalten. Der Verein Helvetiarockt setzt sich mit Workshops und Netzwerkarbeit dafür ein, Musiker:innen gezielt zu fördern und bestehende Ungleichheiten zu reduzieren. Helvetiarockt konstruiert und nutzt dabei eine feministische Öffentlichkeit zur Förderung von FINTA-Personen in der Schweizer Musikszene. Trotz Bemühungen um mehr Diversität und Teilhabe bleibt die gerechte Vergütung und die strukturelle Ungleichheit für FINTA-Personen im Musikbereich eine grosse Herausforderung.
Der von mir allein erarbeitete Podcast «Awareness-Boom: Zur Prävention von sexualisierter Gewalt an Musikfestivals» behandelt Awareness-Konzepte an Musikfestivals, mit Fokus auf das Erleben des Raumes für FINTA-Personen. Awareness-Konzepte zielen auf Prävention von sexualisierter Gewalt ab und setzen sich so für einen inklusiveren Ort der kulturellen Praxis ein (Hill 2020a, 6f).



Keywords
#Awareness-Konzepte #Sexualisierte Gewalt #Musikfestivals #Inklusionsarbeit #feministischeÖffentlichkeiten


Zitiervorschlag:

Merz, Julia (2024): «Reflexion zum Podcast: Awareness-Boom. Zur Prävention von sexualisierter Gewalt an Musikfestivals.» In: Chakkalakal, Silvy/Schmid, Milena/Andrea-Luca Bossard (Hg.): New Publics. Ästhetisch-kollaborative Vernetzungen zwischen Wissenschaften und Öffentlichkeiten. URL: https://new-publics.ch/merz



Musik und Gender: Harmonie oder Dissonanz? Der Beitrag «Musik und Gender: Harmonie oder Dissonanz?» ist als Gespräch gestaltet und versucht so einen Anschlusspunkt zu finden für ein breiteres Publikum. Dabei werden die theoretischen Aushandlungen immer mit dem Verein Helvetiarockt (2024) anschaulich verbunden.  

Grundsätzlich interessieren wir uns für die Diskussion über feministische Öffentlichkeiten, einem Konzept, das die Kommunikationswissenschaftlerin Brigitte Geiger (2003; 2008) entwickelt. Diese sind zentral für das Verständnis von Sichtbarkeits- und Reproduktionsmechanismen in gesellschaftlichen Strukturen. Diese Öffentlichkeiten, wie von Geiger (2003) sowie von den Musikwissenschaftler:innen Monika Schoop und Melanie Ptatscheck (2022) beschrieben, bieten die Grundlage zur Benennung eigener Erfahrungen und Situationen, wie zum Beispiel geschlechterspezifischer Gewalt. Ihre Entwicklung ist eng mit der Theorie der subalternen Öffentlichkeiten von Nancy Fraser (2007) verbunden, welche eine Fragmentierung der Öffentlichkeit unter anderem durch Ausschlussmechanismen feststellt. Politische Teilhabe ist dabei nicht bloss durch grössere Sichtbarkeit zu erreichen (Wuhrer 2021, 6). Denn die herrschende Ordnung wird durch Sichtbarkeit reproduziert und naturalisiert, wie die Popularmusikforscherin BereNike Wuhrer (ebd.) betont. Affirmative Sichtbarmachung erkläre äussere Erscheinungsmerkmale zur Differenz und erhalte dadurch Minorisierungen aufrecht (ebd., 10). Der Fokus auf Geschlechtermerkmale führe so zu einer bedingten Sichtbarkeit mit ambivalenten Effekten (ebd., 11). 

Populärkultur kann dabei als Raum der Neuaushandlung hegemonialer Werte und gesellschaftlicher Machtverhältnisse dienen (vgl. Ege 2018; Wuhrer 2021). In diesem Zusammenhang sollen auch Verhandlungen über private und öffentliche Räume betrachtet werden. Unterschiedliche Geschlechter besitzen unterschiedliche Masse an Öffentlichkeit und Privatheit (Laufenberg 2022, 380), und der Dualismus dieser Räume ist eng mit der symbolischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit verknüpft (Klaus/Drüeke 2019, 237). Durch diese ungleichmässige Dichotomie im Bereich der Öffentlichkeit lassen sich auch Ausschlussmechanismen feststellen, die gerade Frauen aus populärkulturellen Räumen ausschliessen. Die Platzierung von Musikveranstaltungen und Clubs, oft in heruntergekommenen Gebäuden und von Männern dominiert, schliesst Frauen (in)direkt aus und schafft Umgebungen, die als unangenehm und unsicher wahrgenommen werden (Cohen 2013, 23). Diese Strukturen lassen sich nach der Kulturgeografin Lynn Staeheli (2009, 643) als regimes of publicity beschreiben, die den Eintritt von Gruppen in bestimmte Öffentlichkeiten sowie den Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten zum Kampf um den Beitritt limitieren.  

Es zeigt sich also ein Widerspruch in der Mitkonstruktion von Minoritäten durch Sichtbarkeit. Wuhrers (2021, 16) Konzept der partizipatorischen Gleichstellung bietet einen Ansatz, um diesen Widerspruch auszuhalten und eine gerechtere Gesellschaft zu fördern. Es gilt, die Strategien der Sichtbarkeit kritisch zu reflektieren und die Machtstrukturen, die diese reproduzieren, zu hinterfragen. Helvetiarockt (2024) und ähnliche Initiativen tragen dazu bei, diese Reflexion voranzutreiben, indem sie meines Erachtens feministische Öffentlichkeiten schaffen, darin agieren und die Machtverhältnisse innerhalb der Populärkultur herausfordern. 



Awareness-Boom: Zur Prävention von sexualisierter Gewalt an Musikfestivals Musikfestivals und Clubs sind nicht nur Räume der musikalischen Praxis, sondern auch Orte, in denen sich soziale Geschlechterverhältnisse manifestieren. Dieser Podcast widmet sich der Frage, wie sich die Öffentlichkeit des Musikfestivals in ästhetischer, räumlicher Dimension sowie ihrer Wahrnehmung durch Massnahmen gegen sexualisierte Gewalt verändert. Dabei untersuche ich exemplarisch die Winterthurer Musikfestwochen. 

Die Gefahr von sexualisierter Gewalt in Räumen musikalischer Praxis wirkt gerade auf FINTA Personen einschränkend und ausschliessend (Geiger 2008; Wuhrer 2021; Hill 2020b). Das Musikfestival bildet dabei einen Ort des performing masculinity, wie Hill (2020b, 370) beschreibt. Awareness-Konzepte formulieren Strukturen, um unter anderem sexualisierte Gewalt in diesen Räumen zu verhindern. Dabei sind diese präventiven Massnahmen oftmals bloss auf direkte personale Gewalt ausgerichtet (Geiger 2008, 204) und beziehen sich auf «women’s preventive actions rather than men’s perpetration, thus inadvertently con-tributing to the normalization of men’s violent behaviors» (Hill 2020b, 370). In weiteren Auseinandersetzungen bleibt jedoch die «diskursive Ebene der Anerkennung ihrer strukturellen Verankerung in hierarchischen Geschlechterverhältnissen und der Verbindung von Gewalt und (hegemonialer) Männlichkeit» (Geiger 2008, 204) weiterhin widersprüchlich diskutiert.  

Die Psychologin Katja Klehm (2003) und die Historikerin Francisca Loetz (2012) weisen auf die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von Gewalt in den Medien und der wissenschaftlichen Forschung hin. Gewalt wird oft einseitig dargestellt, was zu repressiven Massnahmen führt, die keine langfristigen Lösungen bieten (Klehm 2003). Sichtbarkeit muss also auch im Kontext von sexualisierter Gewalt kritisch betrachtet werden. Geiger betont, die negative Auswirkung von Massnahmen gegen sexualisierte Gewalt, denn damit ginge immer auch «eine gewisse Normalisierung der Gewalt an Frauen einher» (Geiger 2008, 208; siehe auch Hill 2020a, 5). 

Musikfestivals bieten eine besondere Form der Liminalität, die es den Teilnehmer:innen ermöglicht, eine temporäre, abgeschlossen(er)e Gemeinschaft zu bilden (Pini 2001; Schatt 2020). Sexualisierte Gewalt und die damit verbundenen Präventionsmassnahmen beeinflussen das Erleben dieses Raumes sowie auch die Wahrnehmung der Musik (Schatt 2020). Die Winterthurer Musikfestwochen sind dabei besonders zu betrachten, da neun Tage lang kein Eintritt verlangt wird. Trotz Taschenkontrollen an den Eingängen gibt es keine vollständige Abgeschlossenheit, was die Entstehung einer geschlossenen Gemeinschaft erschweren kann. 

Meine ethnografische Forschung basiert u. a. auf Interviews mit Yvonne Meyer von Helvetiarockt und Lotta Widmer von der Festivalleitung der Winterthurer Musikfestwochen. Ausserdem wurden Interviews mit zwei jungen Frauen geführt, die regelmässig die Winterthurer Musikfestwochen besuchen sowie dort jeweils als Helferinnen tätig sind. Meine Auswertungen zeigen, dass die Wahrnehmung des Festivals durch Awareness-Konzepte nicht stark verändert wurde. Festivals würden von den befragten Frauen bei einem Fehlen der Konzepte nicht vermieden und das Sicherheitsgefühl würde nur unterbewusst beeinflusst werden (Interview mit Lisa vom 24.05.2024; Interview mit Julia vom 24.05.2024). Dies steht im Gegensatz zu Hills (2020a, 2020b) Erhebungen, die eine veränderte Wahrnehmung der Musik und des Ortes feststellte. 

Diese Diskrepanz lässt sich einerseits durch die interviewten Personen erklären. So befragte Hill Personen, die bereits von sexualisierter Belästigung betroffen waren, während meine Interviewpartnerinnen keine solchen Erfahrungen machten – weder selbst noch in ihrem Umfeld. Dieser Unterschied scheint mir sehr relevant zu sein, da bei meinen Interviewpartnerinnen somit nicht auf erhöhte Sicherheit, sondern auf erhöhte Sichtbarkeit eingegangen wurde. Andererseits ist der Ort der Winterthurer Musikfestwochen nicht komplett abgegrenzt und bewegt sich zwischen Abgeschlossenheit und Öffentlichkeit, was die Raumwahrnehmung beeinflusst. 



Format Ein Podcast-Format wurde gewählt, da Sound und Hörpraktiken das Forschungsfeld mitbestimmen. In einem auditiven Format lassen sich Musik und Hintergrundgeräusche einbauen, die eine atmosphärische Einbettung des kulturwissenschaftlichen Themas ermöglichen. Atmosphäre wird hier auch in einem analytischen Sinne verstanden, die bestimmte kulturelle Logiken des zu untersuchten Phänomens mit formieren. Ausserdem wird durch einen Podcast das Verhältnis von Forschenden, Forschungssubjekten und Zuhörer:innen durch polyvokale und affektiv bindende Podcasts neu geformt (Kinkaid u.a. 2020). 



Literatur:
Cohen, Sara (2013): Men making a Scene. Rock music and the production of of gender. In: Sheila Whiteley (Hg.): Sexing the Groove. Popular Music and Gender. New York, 17-36.

Ege, Moritz (2018): Die populäre Kultur, die Popkultur und der Staat – zur Einleitung. In: Ders. u. a. (Hg.): Die Popkultur und der Staat. Kulturanalytische Einblicke. München, 7-33.

Fraser, Nancy (2007): Transnationalizing the Public Sphere. On the Legitimacy and Efficacy of Public Opinion in a Post-Westphalian World. In: Theory, Culture & Society 24/4, 7-30.

Geiger, Brigitte (2003): Feministische Öffentlichkeiten. Ansätze, Strukturen und aktuelle Herausforderungen. In: Dorer, Johanna/Brigitte Geiger (Hg.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der Aktuellen Entwicklung. Wiesbaden, 80-97.

Geiger, Brigitte (2008): Die Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen. In: Johanna Dorer u. a. (Hg.): Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden, 204-217.

Helvetiarockt (2024): Startseite. Aufgerufen am 11.06.2024.

Hill, Rosemary Lucy/Molly Megson (2020a): Sexual Violence and Gender Equality in Grassroots Music Venues. How to Facilitate Change. In: IASPM (Journal of the International Association for the Study of Popular Music) 10/1, 3-21.

Hill, Rosemary Lucy u. a. (2020b): Sexual violence at live music events. Experiences, responses and prevention. In: International Journal of Cultural Studies 23/3, 368-384.

Kinkaid, Eden u.a. (2020): The Podcast-as-Method?: Critical Reflections on Using Podcasts to Produce Geographic Knowledge. In: Geographical Review 110/1-2, 78-91.

Klaus, Elisabeth/Ricarda Drüeke (2019): Öffentlichkeit und Privatheit. Frauenöffentlichkeiten und feministische Öffentlichkeiten. In: Becker, Ruth/Beate Kortendiek (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden, 237-244.

Klehm, Katja (2003): Sexualisierte Gewalt und ihre Prävention. Evaluation eines Konzeptes der Polizeilichen Kriminalprävention Selbstbehauptungskurse für Mädchen. Frankfurt a. M.

Loetz, Francisca (2012): Sexualisierte Gewalt 1500-1850. Plädoyer für eine historische Gewaltforschung. Frankfurt.

Laufenberg, Mike (2022): Queere Theorien im Strukturwandel von Öffentlichkeit und Privatheit. In: Günter Burkart u. a. (Hg.): Privat – öffentlich – politisch: Gesellschaftstheorien in feministischer Perspektive. Wiesbaden, 345-371.

Pini, Maria (2001): Club Cultures and Female Subjectivity. The Move from Home to House. London.

Schatt, Peter W. (2020): Vom Acker bis zur Oper. Orte für Musik und Mensch. Versuch einer Topographie musikbezogenen Handelns. In: Ders. (Hg.): Musik – Raum – Sozialität. Münster, 48-71.

Schoop, Monika E./Melanie Ptatscheck (2022): #Gendermachtpop. Machtverhältnisse und Geschlecht in der Populären Musik. In: SAMPLES (Open Access Journal for Popular Musik Studies) 20, 1-34.

Staeheli, Lynn A. u. a. (2009): Making Publics. Immigrants, Regimes of Publicity and Entry to ‹the Public›. Environment and planning. In: Society and Space 27/4, 633-648.

Wuhrer, BereNike (2021): Sichtbarkeit, Geschlecht und Popmusik. Ein theoretischer Transfer kritischer Sichtbarkeits- und Anerkennungskonzepte von der visuellen zur auditiven Kultur. In: Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung 19, 1-21.


Abbildungs- und Materialverzeichnis:

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Interview Julia vom 24.05.2024 in Zürich.

Interview Lisa vom 24.05.2024 in Winterthur.



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